5. Gutachten zu Abwassergebühren von Prof. Dr. Norbert Heldermann
Gutachterliche Stellungnahme zu Abwassergebühren
Akzeptanz der Berechnung der Niederschlagswasserbeseitigungskosten nach dem Frischwassermaßstab und Anreize zum sorgsamen Umgang mit Trinkwasser
Die Abwasserbeseitigung der Kommunen bezieht sich auf die Beseitigung von Niederschlagswasser (Regen) einerseits und auf die Beseitigung von Schmutzwasser (meist aus haushaltlicher oder industrieller Nutzung) andererseits. So entsteht die Problematik, einerseits die Kosten für die Beseitigung des Niederschlagswassers KN und die Kosten für die Beseitigung des Schmutzwassers KS andererseits in gerechter und vernünftiger Form auf die Verursacher umzulegen. Für die beiden Kostenarten kann in getrennter Form ohne Weiteres ein gerechtes Verteilungverfahren nach dem Verursachungsprinzip angegeben werden: KN wird nach der an den Kanal angeschlossenen versiegelten Fläche des Einleiters umgelegt (Flächenmaßstab), KS nach der durch Wasseruhren gemessenen Frischwasserzufuhr (Frischwassermaßstab). Diese gesplittete Berechnung der Abwasserkosten ist transparent, jedem direkt einsichtig und deshalb auch in NRW weithin im Gebrauch. Eine Reihe von Urteilen gestattet jedoch die Umlage der Gesamtkosten KG (KG = KN + KS) allein nach dem Frischwassermaßstab. Die weiteren Ausführungen beziehen sich darauf, ob diese Abweichung von der gesplitteten Umlageform ebenfalls als sinnvoll und gerecht eingestuft werden kann.
(1) Argument des geringen Kostenanteils
Als Begründung für die alleinige Umlage der Abwasserkosten nach dem Frischwassermaßstab wird mitunter angeführt, der Anteil von KN an KG sei gering, maximal 10% bis 12%. Diese Argumentation ist nicht zutreffend. Ein Kostenanteil der Niederschlagswasserbeseitigung von unter 12 % scheint eher unwahrscheinlich wenn nicht unmöglich zu sein. Da für das Niederschlagswasser wegen der Jahrhundertregenereignisse größere Kanäle notwendig sind, dürfte der Kostenanteil (Abschreibung, Kapitalkosten, Verwaltungs- und Unterhaltungskosten) im Kanalbereich bei etwa 60 % (Schmutzwasseranteil 40 %) liegen. Bei einer ordnungsgemäßen Kostenträgerrechnung (Niederschlagswasser, Schmutzwasser) sind z.B. alle Abschreibungen und Kapitalkosten für Regenrückhaltebecken und Regenüberlaufbecken zu 100 % dem Niederschlagswasserbereich zuzuordnen. Ebenso die hier anfallenden Unterhaltungs- und anteiligen Verwaltungskosten. Auch bei der Klärung der Abwässer ist kein deutlicher Kostenunterschied erkennbar, schon gar nicht, wenn das Abwasser in gemischten Systemen geführt wird. Auch Niederschlagswasser ist verschmutzt und muss im Klärwerk gereinigt werden. Dabei geht es nicht nur um Hunde- und Vogelkot, sondern insbesondere auch um Staubpartikelablagerungen aus den Emissionen von Industrie und dem Autoverkehr, inkl. dem Reifenabrieb. Dazu kommt Altöl aus defekten Autos und im Bereich der privaten Haushalte dürfte der Einsatz von Chemie zur Reinigung versiegelter Flächen und bei der Autowäsche zur Notwendigkeit beitragen auch dieses Abwasser zu reinigen. Die Klärwerkskosten sind entsprechend der anfallenden Niederschlagswassermenge dem Kostenträger Niederschlagswasser zuzuordnen. Abschließend muss festgestellt werden, dass der Anteil von KN an KG im Normalfall bei etwa 50% liegen muss. Eine genaue Aussage bleibt jedoch so lange unmöglich, wie keine eindeutigen Kriterien für die Kostenaufteilung angewandt werden.
(2) Argument der homogenen Bebauungsstruktur
Als weitere Begründung für die alleinige Umlage der Abwasserkosten nach dem Frischwassermaßstab wird mitunter angeführt, dass alle Mitglieder der Kommune in etwa dieselbe Menge an Niederschlagswasser erursachen, d.h. in etwa gleiche versiegelte Flächen in das Kanalsystem entsorgen. Das Argument ist geradezu absurd. Zum einen bedarf es keiner weiteren Begründung, wenn man darauf hinweist, dass die versiegelten Flächen von Haushalten in Bezug auf Ihre Größe stark differieren. Es gibt Haushalte mit riesigen versiegelten Flächen (z. B. Parkplätze) und andere mit sehr kleinen Flächen (z. B. Mehrfamilienhäuser ohne Parkplätze). Die alleinige Anwendung des Frischwassermaßstabs führt zu offensichtlichem Unrecht: die unterschiedlich großen Flächen werden bei der Kostenumlage überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie in hohem Maße unterschiedliche Kosten verursachen! Zum anderen ist die alleinige Umlage der Kosten nach dem Frischwassermaßstab sogar dann ungerecht, auch wenn die versiegelte Fläche der Haushaltungen gleich wäre!
Aus mathematischer Sicht ist eine Berechnung von Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung bei homogener Bebauung nach dem Frischwasserverbrauch nur akzeptabel, wenn auch der Frischwasserverbrauch in allen Haushalten annähernd gleich wäre.
Hierzu hat Herr Willi Hennebrüder eine Untersuchung in einem homogen strukturierten Bebauungsgebiet der Stadt Lemgo durchgeführt und darüber in einem Fachbeitrag der Kommunalen Steuerzeitschrift (Heft 1/2003, S. 5 ff., „Ist die gesplittete Abwassergebühr notwendig“) berichtet. Er wies statistisch korrekt nach, dass gilt, was offensichtlich ist: Haushaltungen mit in etwa gleicher versiegelter Fläche können sehr stark unterschiedliche Frischwassermengen beziehen und damit auch stark differierende Schmutzwassermengen verursachen. Haushalte, die vergleichsweise wenig Schmutzwasser verursachen, werden bei der Umlage der Kosten für Niederschlagswasser nun unzureichend herangezogen!
(3) Gegenargument der mangelnden Umweltverträglichkeit
Die Umlage der Abwasserkosten allein nach dem Frischwassermaßstab verletzt die gebotene Pflicht, Anreize für ein umweltbewusstes Verhalten zu schaffen. Versiegelte Flächen ohne Rückführung des aufgefangenen Niederschlagswassers in die Erde an Ort und Stelle sind ein wesentlicher Grund für die Verschmutzung der Gewässer und die Entstehung von Hochwasserfluten. Nur durch die gesplittete Umlage der Abwasserkosten wird jeder Haushalt dafür belohnt, wenn er durch den Bau einer Rigole oder anderer Vorrichtungen das aufgefangene Regenwasser auf seinem Grundstück versickert.
(4) Grundgebühren und Einbeziehung unversiegelter Flächen
In den gesetzlichen Vorgaben wird gefordert, dass von den Gebühren Anreize zum sorgsamen Umgang mit Trinkwasser ausgehen müssen. Da die Gebühren für Trinkwasser niedrig sind, sind bei der Umsetzung dieser Forderung auch die höheren Abwassergebühren einzubeziehen. Anreize zum Einsparen sind aus mathematischer Sicht aber nur möglich, wenn auf Grundgebühren verzichtet wird. Je höher die Grundgebühr, desto geringer der Sparanreiz. Die Einbeziehung unversiegelter Flächen in die Gebührenberechnung für die Niederschlagswasserbeseitigung steht hier im genauen Gegensatz zu den angestrebten Zielen und hat zudem mit dem Verursacherprinzip nichts zu tun.
Fazit: Sofern die Bemessung der Abwassergebühren in den Kommunen nach gerechten und vernünftigen Kriterien erfolgen soll, läuft dies zwangsläufig auf eine Berechnung nach dem Verursachungsprinzip hinaus. Dies bedeutet, dass die Kosten für die Beseitigung des Niederschlagswasser und die Kosten für die Beseitigung des Schmutzwasser getrennt ermittelt und umgelegt werden müssen. Diese Regelung hätte überdies den Vorteil, dass sie Anreize zu einem umweltbewussten Handeln schafft, sowohl was die Versickerung von Niederschlagswasser angeht, als auch den sparsamen Verbrauch von Trinkwasser. Die Umlage der Abwasserkosten allein nach dem Frischwasserverbrauch ist nicht nur ungerecht, sondern vor dem Hintergrund sich verschärfender Umweltprobleme geradezu unverantwortlich.
Lemgo, 01. März 2007
Prof. Dr. Norbert Heldermann, Fachhochschule Lippe und Höxter –Mathematik/Statistik–
Liebigstraße, 32657 Lemgo
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6. Musterwidersprüche
Die folgenden aktuellen vier unterschiedlichen Wordvorlagen zum Thema Widerspruch gegen die Abwassergebühren-Bescheide können Sie herunterladen. Wählen Sie dann das für Sie geeignete aus.
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